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Nur
eines zeugt von der Existenz Melchior Francks: Sein Werk. Kein Bildnis
überliefert uns seine Gesichtszüge, Geburt und Herkunft liegen im
Dunkel, von Lehr- und Wanderjahren wissen wir nichts, seine Handschrift
kennen wir nur aus drei erschütternden Bittbriefen kurz vor seinem Tode
an den Coburger Magistrat geschrieben; nur eine einzige Notenzeile
besitzen wir von seiner Hand. Den als Fuga a 4 bezeichneten Kanon
Da pacem Domine als Eintrag in das Gästebuch eines Arztes. Nicht
einmal das schmale Haus in der Grafengasse können wir besuchen: es ist
weggerissen worden, als man den Coburger Schlossplatz um eine Häuserzeile
verbreiterte. Dabei wurde auch das Persönliche vernichtet, das es enthielt, denn die Familie, die seinen
Nachlass hätte bewahren können,
gab es nicht mehr: Frau, Tochter und Sohn waren ihm in den fürchterlichen
Kriegsjahren genommen worden und hatten ihn als einsamen, ,,in höchster
Armut" stehenden Mann zurückgelassen, bis auch er am 1. Juli 1639
im Alter von 60 Jahren starb. Alles, was wir über den produktiven
Kapellmeister wissen, dem die geistliche Musik ganz offensichtlich um
vieles mehr am Herzen lag als die ihm von Amts wegen aufgetragene
weltliche, entnehmen wir seinen Werken, überliefert in einer ungeheuren
Menge von kleinformatigen Stimmbüchern verstreut in etwa 60
Bibliotheken der Welt zwischen Uppsala und Basel, Krakau und Washington.
Auf
dem Titelblatt seiner ersten Motettensammlung Sacrarum Melodiarum (1601)
stellt er sich als “Zittanus Silesius” der musikalischen Welt vor.
Den Grund, weshalb das ”Tomus Primus” des Zittauers aus der
Oberlausitz in Augsburg in den Druck gelangte, können wir erahnen:
Adam Gumpelzhaimer war als
Tonsetzer, mehr aber noch als Kantor und Musikerzieher am Sankt-Anna-Gymnasium
von großer Berühmtheit. Aber auch mit Hans Leo Haßler der hier bei
den Fuggern in Diensten stand, hatte Franck freundschaftliche
Beziehungen geknüpft. Im gleichen Jahr, in dem Haßler seinen
Organistendienst aufkündigte, um in seiner Heimatstadt Nürnberg der
Ratsmusik vorzustehen, verläßt auch Franck Augsburg und siedelt nach Nürnberg
über. Die Verbindungen, die Franck in Nürnberg knüpfte, blieben ein
Leben lang bestehen: Einen großen Teil seiner wichtigsten Werke ließ
er auch in Zukunft in den Nürnberger Druckereien verlegen, und als es
hieß, eine Hofkapelle in der Coburger Residenz zu errichten,
verpflichtete er Musiker aus Nürnberg. Auch die Reuterliedlein (1603),
die Franck bei seiner Berufung zum “Fürstlich Sächsischen
Capellnmeister” seinem Herzog als Morgengabe überreichte, waren in Nürnberg
gedruckt.
Da die Kirchenbücher der
Stadt Zittau in einem großen Stadtbrand vernichtet worden waren,
konnten Geburts- und Taufdaten Melchior Francks nicht ermittelt werden.
Durch die Datierung des Trauergesangs O dolor, O lachrymae auf
den Tod der Mutter konnte aber nun doch wenigstens die Familienzugehörigkeit
geklärt werden: Sara Franck, gestorben am 20. Juli 1603, Frau des
Malers Hans Franck (Bürgerverzeichnis von 1578).
Wenn sich auch die Lebensumstände
Francks trotz vielfältiger Nachforschungen nicht wesentlich
verdeutlichen und erhellen ließen, tritt doch sein Profil als
Komponistenpersönlichkeit bei der Beschäftigung mit seinem Werk immer
prägnanter und lebendiger hervor: Francks Standort an der Stilwende von
der Spätrenaissance zum Generalbaßzeitalter setzte ihn und sein
Schaffen in ein Spannungsfeld zwischen vor- und rückwärtsgewandter
Orientierung, die zeit seines Lebens spürbar blieb und ihm zu immer
neuen Ausdrucksformen verhalf. Im Gegensatz zu einigen seiner
Zeitgenossen - unter ihnen der sechs Jahre jüngere Heinrich Schütz -
wurde ihm nicht das Privileg zuteil, in Italien an der Wiege des
konzertanten Stils und der frühen Oper studieren zu dürfen. Daher
geschieht seine Auseinandersetzung mit den neuen, bald auch in
Deutschland wirksamen Einflüssen, die Synthese traditioneller Formen
und Satztechniken mit den Stilelementen der seconda prattica in
seiner Musik zwangsläufig auf andere, eigene Weise.
Das Schaffen Melchior Francks
läßt drei deutliche Abschnitte erkennen, jeder von ihnen zwölf Jahre
umfassend und jeder von ganz unterschiedlicher Charakteristik und
kompositorischem Konzept geprägt.
Die erste große
Schaffensphase(1601-1613) steht ganz im Zeichen der Auseinandersetzung
mit der alten Gattung Motette: Es entstehen fünf umfangreiche Bände
mit fast 200 lateinischen, in der Nachfolge der süddeutschen Lasso-Haßler-Lechner-Schule
geschriebenen Motteten. Das “Viridarium” von 1613 stellt hier einen
Endpunkt dar: Franck sprengt mehr und mehr die überkommenen Form- und
Strukturmodelle und macht Gebrauch von frühbarockem Ausdrucksvokabular,
wie etwa in der hochexpressiven, vielfach die modal-harmonischen Grenzen
überschreitenden, aber zugleich archaischen Motette Domine Deus meus.
Ein Jahr nach Francks Eheschließung mit Susanne Ziegler, der Tochter
des herzoglichen Obermundkochs (1607) erscheint die einzige
deutschsprachige Motettensammlung der gesamten Periode. Die
orientalische Bildersprache des Hohenliedes bietet dem Komponisten vielfältige
Möglichkeiten zu tonmalerischer Textausdeutung.
In subtilster Abschattierung
entwirft er in Fahet vns die Füchse Bilder von den verspielten Füchslein,
den springenden Rehen, den dreinfahrenden Winden und der nächtlichen
Stille.
Im
Bereich der weltlichen Musik besaß Frack zunächst eine ausgeprägte
Vorliebe für altertümliche Formen: Reuterliedlein und Bergkreyen
pflegte man etwa 100 Jahre früher zu komponieren. Diese Neigung brachte
ihm allerdings auch den “Erfolg seines Lebens”: Seine Quodlibets -
auch eine Form, die der Vergangenheit angehörte - wurden so beliebt, dass
er sie alle paar Jahre - jeweils um eine Nummer erweitert - neu
herausgeben musste. Zu dieser Gattung darf man das vor Ausgelassenheit
und Trinklaune sich fast überschlagende St.-Martins-Gans-Gelage In
illo Tempore rechnen, für das wohl Orlando di Lassos berühmtes Audite
nova, der Baur von Eselskirchen Vorbild gewesen sein dürfte.
Als habe er seine Möglichkeiten im Komponieren von drei- bis
zwölfstimmigen lateinischen Motetten nun ausgeschöpft, wendet sich
Franck etwa ab dem Jahre 1614 den Bedürfnissen der "geringen
Cantoreyen" zu. Die lateinische Sprache verschwindet nicht nur im
Motettentext, auch Titelblätter und Vorreden sind nun häufig deutsch
abgefaßt. Bei dem nun angewandten "ahnmuthigen Stylo Musicum"
ist die Homophonie die vorherrschende Satzart. In diesen Jahren
entstehen auch die bekannten Evangeliensprüche, jene Sammlung kleiner
vierstimmiger Motetten auf die Texte der allsonntäglichen Lesungen, die
als eine der ersten Franck-Editionen in unserer Zeit das Bild des
Komponisten bis auf den heutigen Tag bestimmte und leider auch auf einen
schmalen, gänzlich unzulänglichen Ausschnitt einengte. Allerdings war vor
ihrer Veröffentlichung im Jahre 1963 Francks Name und Werk überhaupt
kein Begriff. Der Vergessensprozess hatte schon sehr bald begonnen:
Während noch die beiden Nürnberger Organisten Johann Staden und
Valentin Dretzel geradezu entrüstet das Ansinnen ihrer Vorgesetzten
zurückgewiesen hatten, eine Beurteilung einer Franckschen Komposition
vorzulegen, da es "keiner sonderbaren Censur bedürfte" und
Franck ein "alter berümbter Meister" sei, der "im
gantzen Teütschland bekant were" (Ratsverlass 1628), war er schon
hundert Jahre später "sonst des Lebens Nachricht nach
unbekannt" (Hymnopoegraphia, 1719-1748) und in Gerbers
"Historisch Biographischem Lexikon der Tonkunst" (Leipzig
1790) nicht einmal mehr namentlich aufgeführt.
Hauptsächlich in diesen zweiten, bis zur Mitte der dritten Dekade
des Jahrhunderts andauernden Schaffensabschnitt fällt die Komposition
von weltlichen Werken, veröffentlicht in einer Vielzahl von
Druckausgaben mit zumeist im wörtlichen Sinne blumigen Titeln, wie Flores
Musicales, Deliciae Amoris, Lilia Musicalia oder Lustgärtlein.
Sie beinhalten vier- bis achtstimmige deutsche Lieder, die nunmehr - im
Gegensatz zu den frühen Bergkreyen und Reuterliedlein
nach dem Vorbild italienischer Canzonetten und Balletti gesetzt sind.
Sie sprechen von der Liebe in allerhand Spielarten, vom sehnsüchtigen Ach
wie empfind mein hertze in dialogisierender Doppelchörigkeit bis
hin zur scherzhaften, strophisch durchkomponierten Ballade Ein
Tochter hat Ihr Ehr verschertzt. Aber auch der höfischen
Jagdleidenschaft wird in der naturalistischen Szene Wolauff jhr edlen
Jäger gut musikalisch Rechnung getragen. Der beliebten Gattung der
frühbarocken Echokomposition steuert Franck mit seinem Ach weh a
6 ein Kuriosum bei: Im dreifachen Widerhall wird auf raffinierte wie
groteske Weise der Wortsinn verändert. Mit dem Ende der 1620er Jahre
beginnt nun wiederum ein völlig neues Kapitel Franckschen Komponierens:
Werke mit "Basso Continuo ad Organum". Die großen Sammlungen
dieser Zeit, vor allem der zweiteilige, 64 Geistliche Konzerte
umfassende Paradisus Musicus (1636) wurden bisher kaum beachtet, weder
veröffentlicht noch aufgeführt. Dessen "newen Concerten"
wenden mit größter Souveränität das Vokabular des neuen
italienischen Stils an: Ornamente, virtuose Passagien und affektive
Wortausdeutungen, wie etwa auf die Worte "Heulet",
"Schrecken, Angst und Seufzen" oder "Es wird ihnen bange
sein" in Heulet, denn des Herren Tag ist nahe.
Die in diesen letzten Schaffensjahren zu bedrängender lnbrunst
sich verdichtende Ausdruckskraft kommt nicht von ungefähr: Persönliche
Schicksalsschläge und die allgemeinen "beschwerlichen
Läufften" ließen Melchior Franck "allhier umb all das
meinige kommen und in meinem Alter zu einem armen Mann" werden:
1624 entriss der Tod ihm den einzigen Sohn Valentin, 1632, in dem Jahr,
da das Unheil des Dreißigjährigen Krieges auch über Coburg
hereinbrach, starb die Tochter Margaretha, der zwei Jahre später
Susanna, seine Frau, nachfolgte. Zu aller Not, die zudem der Krieg über
die Trauernden brachte, kam auch noch der Tod des musikfreudigen
Gönners und Brotherren, Herzog Johann Casimirs, wodurch sein
"unterteniger Capelnmeister" nun in andauernde wirtschaftliche
Bedrängnis gebracht war.; Franck nimmt Abschied von seinem
"gnedigen Fürsten und Herrn" mit dem "Klag- vnd Trawr
Gesang" Vnser Leben weret 70 Jahr. In spürbar
existentieller Auseinandersetzung mit den leidgeprüften Gestalten der
Bibel und ihren prophetischen Aussagen gelingen Franck - angesichts
aller sich mehr und mehr verdüsternden Lebensumstände - reife und
glaubensstarke Werke voller Trost und Gewißheit. Von der Sehnsucht nach
dem ewigen Leben und der tröstenden Kraft der Musik spricht Franck in
allen Vorreden zu seinen letzten geistlichen Werken, vor allem aber mit
dem programmatisch zu verstehenden Titel des die reiche Ernte seines
Schaffens abschließenden Werks: Paradisus Musicus.
Knut Gramß
"Musicalisches
Rosengärtlein"
Landesbibliothek
Coburg erwirbt seltenen Franck-Druck
Coburger Tageblatt
Donnerstag, 27. September 2001
1628
in Coburg im Druck erschienen und
nun als Neuerwerbung im Bestand der
LandesbibIiothek Coburg:
Melchior Francks ,,Bassus generalis pro
organo, zu dem Newen Musicalischen
Rosengärtlein".
Die Coburger Regionalbibliothek hat
eine der seltenen Sternstunden erlebt, denn sie konnte aus dem deutschen
Antiquariat Melchior Francks "Bassus generalis pro organo, zu dem
Newen Musicalischen Rosengärtlein, in welchem allerhand wolriechende
Rößlein aus H. Göttlicher Schrift, Sowohl andern schönen Geistlichen
Texten zu finden...", gedruckt durch den Fürstlichen Drucker
Johann Forkel in Coburg 1628, kürzlich erwerben. Der Band, dessen 38
Seiten 6800 Mark gekostet haben, ist eine kostbare Seltenheit, denn
außer dem jetzigen Coburger Exemplar sind weltweit nur noch zwei
weitere nachgewiesen:
eines in der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt/Main und eines in der
Universitätsbibliothek in Thorn, Polen. Bei dem Coburger Notendruck handelt es
sich um die Orgelstimme (bezifferter Basso continuo) zu Francks Neuem
Musikalischem Rosengärtlein, zu dem die Landesbibliothek bereits die
Tenor- und die Bass-Stimme besitzt.
Die Stimme Cantus (Diskant oder
Sopran) und Altus (Alt, in der älteren Musik wie hier meist Männeralt)
sind noch nicht in Coburg vorhanden. Mit diesem
"Rosengärtlein" (lateinisch Rosetulum) wendet sich der
Komponist erstmals für sich den Generalbass und die konzertierende
Satzweise als Kompositionstechnik an, außerdem erscheint Franck hier
erstmals als Dichter von Kirchenliedern. Das Rosetulum Musicum besteht
aus 32 einzelnen kleinen geistlichen Liedkompositionen.
Der aus Zittau stammende Melchior
Franck (geboren um 1580) erhielt zunächst dort, dann in Augsburg seine
musikalische Ausbildung. Über Nürnberg (1602) gelangte Melchior Franck
nach Coburg als Hofkapellmeister des Herzogs Johann Casimir. Diese Jahre
ab 1603 bis zum Tode des Herzogs 1633 waren durch eine
außergewöhnliche Fülle weltlicher und zunehmend geistlicher
Kompositionen gekennzeichnet. 1633 wurde der Hof in Coburg aufgelöst,
über das Coburger Land regierte Johann Casimirs Bruder Herzog Johann
Ernst von Sachsen-Eisenach weiter. Da Melchior Franck hoffte, von diesem
eine Anstellung zu erhalten, blieb er in Coburg, obwohl er aus Nürnberg
das Angebot der Ratskapellmeisterstelle hatte. Wegen der ab 1632 auch in
Coburg herrschenden Kriegsverhältnisse und weil Franck in Coburg 1636
eine nur dem Namen nach feste Anstellung erhielt, hatte er äußerste
Not zu leiden. Sein Sohn, seine Tochter und seine Ehefrau starben, bevor
Melchior Franck selber völlig verarmt und vereinsamt 1639 starb.
Melchior Francks Lebenswerk kann man
heute dank der akribischen Arbeit von Clarence Theodore Aufdemberge
nachvollziehen. Dieser Autor veröffentliche 1975 im Jahrbuch der
Coburger Landesstiftung ein vollständiges Werkverzeichnis Francks.
Die Landesbibliothek beobachtet wegen
der Coburger Kompositions-, Theater- und Musikgeschichte der Coburger
Region ständig zumindest den deutschen, zum Teil den internationalen
Musikantiquariatsmarkt.
Das Werk Melchior Francks, um das sich
in so verdienstvoller Weise Knut Gramß und sein Melchior-Franck-Kreis
kümmert, ist in der Landesbibliothek nur in Bruchstücken vorhanden.
Vor allem in der inkorporierten Bibliothek von St. Moriz ist eine Anzahl
von Franck-Kompositionen, aber ebenso in anderen Abteilungen der
Landesbibliothek nachzuweisen.
Der Dreißigjährige Krieg, die
Einnahme Coburgs 1632 durch kaiserliche Truppen, die unter anderem den
Hauptteil der überaus kostbaren Erbbibliothek Johann Friedrichs des
Mittleren aus der Ehrenburg wegführten, und die Tatsache, dass man im
17. Jahrhundert noch nicht den bibliothekarischen Coburger
Regionalsammelschwerpunkt verfolgte, so wie man ihn insbesondere nach
1949 in der heutigen Landesbibliothek pflegt, sind die Ursache für den
nur teilweise Besitz der Notendrucke Melchior Francks in Coburg.
Jürgen Erdmann
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